München – Die Worte dringen abgehackt aus dem Mund. Kein Satz ohne Unterbrechung. Oft versagt Wilhelm Nagel die Stimme. Er kann kaum noch sprechen, zwingt mühsam ein paar Bissen runter. Wenn er sich einmal hinlegt, weiß er nicht, ob er wieder aufstehen kann. Schwere Schwindelgefühle plagen ihn. Oft zittert er am ganzen Körper. Dabei ist Wilhelm Nagel organisch gesund. Der 71-Jährige leidet unter etwas, was immer häufiger auftritt, aber vielen gar nicht bekannt ist: Infraschall.
Infraschall ist akustisch schwer wahrnehmbar. Das menschliche Hörvermögen reicht nicht bis zu Frequenzen im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich (siehe Interview). Doch immer mehr stellt sich heraus, dass auch diese unhörbaren Schallwellen auf den Körper einwirken. Über komplizierte Wechselwirkungen im Ohr, möglicherweise auch über andere Organe. Und sie können schwere Befindlichkeitsstörungen verursachen. Menschen sind dafür unterschiedlich sensibel. Die Sensibilität steigt aber, je länger und öfter man dem unhörbaren Schall ausgesetzt ist.
Wilhelm Nagels Haus in München-Freimann: Eine Uhr tickt, eine zweite im Elektroherd knackt manchmal leise. Sonst totale Stille. „Spüren Sie es?“ fragt Wilhelm Nagel. Nichts zu spüren. Und nichts weiter zu hören. Die Zeit verrinnt. Mitarbeiter der Stadt München, die dem Phänomen auf die Spur kommen wollten, hatten nichts gespürt. Polizisten dagegen, die sich einmal mehrere Stunden bei Wilhelm Nagel aufgehalten haben, berichteten von einem Zittern.
Ich bleibe. Tatsächlich dringt nach einer Weile ein leises, aber jetzt wahrnehmbares Beben durch die Schuhsohlen. Zunächst nicht weiter störend. Dann ist das Beben auch mit den Händen zu greifen. Die ganze Ostwand des Hauses zittert leicht, und mehrere Stellen am Boden des Hauses – vom Keller bis zum Studio im Obergeschoss.
„Ich halte es nicht mehr aus“, sagt Wilhelm Nagel. Er sagt das seit Monaten und seine Klagen werden im Wochentakt immer verzweifelter. Tatsächlich bleibt es nicht beim Beben. Nach etwa 20 Minuten auf einer der bebenden Stellen kriecht ein seltsames Gefühl die Unterschenkel hoch. Es erinnert entfernt an einen Stromschlag mit Wechselstrom – ist aber weit schwächer. Möglicherweise ergreift das aber den ganzen Körper.
Immer wieder werden die Symptome, die Nagel beschreibt, in Studien beschrieben. Doch so richtig greifbar sind sie nicht: „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass viele der negativen Auswirkungen von Infraschalleinwirkungen die Bereiche Herz-Kreislauf-System, Konzentration und Reaktionszeit, Gleichgewichtsorgane, das Nervensystem und die auditiven Sinnesorgane betreffen“, heißt es in einer Studie, die das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben hat.
Doch in der Praxis wird das kaum beachtet. Ein Arzt, der Nagel untersucht hat, notierte „Wahnvorstellungen“. Es wurden ihm schwere Psychopharmaka und andere Medikamente angeboten. Doch das weist er zurück. Er will echte Abhilfe, dass die Ursache der Schwingungen gefunden und beseitigt wird. Doch das ist nicht so einfach.
Sicher ist nur: Die Schwingungen traten auf, nachdem das Nachbargrundstück von Wilhelm Nagel neu bebaut wurde. Er selbst denkt, die Wärmepumpe des Nachbarn sei die Quelle allen Übels. Damit steht er nicht allein. „Als häufigste Quellenart für Beschwerden wurden Wärmepumpen mit einem Gesamtanteil von 9,3 Prozent genannt“, heißt es in der Studie des Umweltbundesamts. Gegen die Wärmepumpe spricht, dass sie nach Angaben des Nachbarn nur gelegentlich anläuft, und die Belästigungen praktisch rund um die Uhr auftreten.
Tatsächlich gibt es viele mögliche Quellen für Infraschall. Windkraftanlagen werden oft genannt, aber es können alle Maschinen sein, in denen Teile bewegt werden. Es ist auch denkbar, dass durch die starke Verdichtung des Bodens beim Neubau eine Schallbrücke entstand, die Schwingungen von einem ganz anderen Ort zu Wilhelm Nagels Haus leitet. Tatsächlich reichte die Baugrube des Nachbarn ungefragt weit ins Grundstück des Infraschall- Opfers hinein – bis etwa einen Meter ans Fundament seines Hauses.
Aber müssten das nicht auch andere Nachbarn spüren? Infraschall ist extrem langwellig. Das hat zwei Folgen: Er wird auch über große Entfernungen übertragen. Und es gibt immer nur bestimmte Bereiche, an denen die größten Schwingungsausschläge auftreten. Wilhelm Nagels Pech könnte sein, dass sein Haus an so einer Stelle steht. Auch mehrere Nachbarn haben inzwischen das Phänomen im Haus bestätigt.
Aber warum können sich so leichte Schwingungen so massiv auswirken? Man kann sich das nur ausmalen. Ein tropfender Wasserhahn oder eine in einem Topf kratzende Gabel bringen Menschen eher an den Rand des Wahnsinns als ein vielfach lauterer Presslufthammer. Und wer einmal im Auto bei hoher Geschwindigkeit mit geöffneten Rückfenstern gefahren ist, weiß, wie rasch die pulsierenden Druckwellen (auch sie sind Infraschall) die Schmerzschwelle überschreiten.
Die Lage von Wilhelm Nagel wird immer dramatischer. Seit Monaten hat er keine Nacht mehr in seinem Haus durchgeschlafen. Meist setzt er sich ins Auto und versucht, an einem Parkplatz ein wenig Ruhe zu finden. Er sei „nur noch ein Schatten seiner selbst“, sagt ein Bekannter, der den 71-Jährigen seit vielen Jahren kennt.
Denn Nagel ist alles andere als ein Sensibelchen. Er hat sich selbst aus schweren Krisen immer wieder ins Leben zurückgekämpft. Als er den Job als Lehrlingsausbilder bei Knorrbremse verlor, bildete sich Wilhelm Nagel zum Technischen Betriebswirt fort und wurde bis zur Rente Leiter der Haustechnik im Klinikum Pasing. Er überstand als Zeuge einen Banküberfall, bei dem er durch einen sich in nächster Nähe lösenden Schuss einseitig das Gehör verlor. In seiner Freizeit ist er sein Leben lang als Skilehrer aktiv. Als Bergsteiger hat er mehrere Sechstausender in den Anden bezwungen. Und im Studio seines Hauses steht ein Hometrainer, mit der man sich simuliert auch der Tour de France stellen kann.
Bei der Münchner Lokalbaukommission ist der Fall von Wilhelm Nagel gut bekannt. Und deren Leiter Cornelius Mager ringt ganz offensichtlich um eine Lösung. Doch der rechtliche Rahmen ist begrenzt. Wilhelm Nagel erhofft sich, dass die Wärmepumpe zumindest befristet abgeschaltet wird. Am Institut für Umweltmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde Wilhelm Nagel bescheinigt: „Aus umweltmedizinischer Sicht, unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Literatur, ist eine Überprüfung der Anlage dringend anzuraten.“
Doch das ist nur vorstellbar, wenn die Nachbarn zustimmen. Das ist nicht der Fall. Dabei könnte eine kurzzeitige Stilllegung auch dazu führen, dass man die Wärmepumpe als Infraschallquelle ausschließen und nach anderen Quellen suchen kann.
Andere schlugen Nagel vor, das Haus aufzugeben. Das Eckgrundstück in ruhiger Wohnlage ließe sich gut verkaufen. Doch davon will der 71-Jährige, der sein ganzes Leben hier verbracht hat, nichts wissen. „Ich bleibe“, sagt er an einem Tag, der für ihn mit zittrigen Beinen und schweren Schwindelgefühlen besonders schlecht begonnen hat. „Ich gehe da nicht raus.“ Und plötzlich klingt seine Stimme fest und entschlossen. So wie man es von dem Wilhelm Nagel kennt, der auch in schwierigen Lagen nie aufgegeben hat.
Nach einer Weile dringt ein leises Beben durch die Schuhsohlen. Die Schwingungen traten auf, als das Nachbargrundstück bebaut wurde. Seit Monaten hat Wilhelm Nagel im Haus nicht mehr durchgeschlafen. Bei der Stadt kennt man das Problem – kann aber nicht wirklich helfen.
Bildquellen
- Nagel Wilhelm: OVB Heimatzeitung
diese Geschichte erscheint nicht plausibel. es wird in Deutschland kein Bebauungsplan Genehmigung erhalten, der bauten (wie die baugrube) ausserhab des bebauungsfensters ausweist. und es gibt kein bebauungsfenster das nicht mindestens drei meter fläche zur Grundstücksgrenze lässt. das ist eine brandschutz Vorschrift. das bedeutet, dass der bau des nachbarn entweder so nicht durchgeführt wurde, oder gegen den bebauungsplqn verstossen wurde.
Ich hatte dieses Problem auch schon mal. Hab in den schlaflosen Nächten gegoogelt ,aber keine Lösung gefunden.
Bin aber nach 2 schlaflosen Wochen ins Tun gegangen, snst wäre ich im Burnout geendet. Habe eine Jurte gekauft, im Garten aufgestellt und mit meiner Tochter 1/2 Jahr (über den Winter) dort genächtigt.
Im Sommer habe ich das Problem dann erkannt. Es waren die Subwoofer des Herrn unter uns. Er hat als Eishockey-Fan die ganze Nacht vor der Glotze verbracht. Mit ordentlich Mucke. Ich habe es nicht gehört, nur gespürt. ich schlief direkt drüber. Infraschall breitet sich nach oben und untern aus. Im selbsen Stock bekommt man das nicht mit. Der Mieter stritt alles ab, aber die Tatsache, dass ich herausgefunden habe was es ist, machte ihn wütend. Ich hätte ihm nachspioniert…. In wirklichkeit hatte ich das Phänomen meinem Automechaniker beschrieben und er wusste sofort was das ist, aus eigener Erfahrung. Es ist immer so ein Anschwellen udn Abschwellen von Vibrieren gewesen. Letztendlich sind die Mieter unter uns ausgezogen. Seit dem ist wieder Ruhe und jeder schläft in seinem eigenen Bett. Die Jurte dient als Gartennhaus und manchmal Gästezimmer ..